6.1.3. Moleküle mit tetraedrischer Geometrie

Wie kommt es dazu ?

In der Valenzschale eines Atoms befinden sich 4 Elektronenpaare. Jedes bildet eine Bindung zu einem anderen Atom aus, es sind also keine freien (einsamen) Elektronenpaare vorhanden.

Nach dem VSEPR–Modell stoßen sich die Elektronenpaare ab. Sie versuchen, sich möglichst weit voneinander zu entfernen und ordnen sich daher in den Ecken eines Tetraeders an. Ich nenne diese Anordnung den AL4–Molekültyp.

Was wissen wir über die Liganden ?

Molekülgeometrie des AL4-Typs

Bild 1 : Molekül mit tetraedrischer Geometrie, dazu ein Tetraeder.
Tetraedergeometrie interaktiv

Alle 4 Liganden (d.h. die Atome, die ans Zentralatom gebunden sind) sind äquivalent. Jeder der 4 Liganden hat zu den anderen 3 denselben Abstand. Die Bindung eines jeden Liganden zum Zentralatom hat zu den anderen 3 Bindungen denselben Winkel, nämlich 109°28'. Er heißt deshalb auch Tetraederwinkel.

Ansehen : Starten Sie die JSmol–Visualisierung durch Anklicken des Tetraeders in Bild 1. Betrachten Sie das Molekül aus verschiedenen Richtungen und blenden Sie in 3 Schritten einen Tetraeder ein und wieder aus.

Beispiele

Moleküle vom Typ AL4 sind sehr häufig.
So finden sich zum Beispiel in unzähligen organischen Verbindungen Kohlenstoffatome mit tetraedrischer Koordination. Das Kohlenstoffatom besitzt 4 Elektronen, und von jedem der 4 Liganden kommt ein Elektron. Zusammen sind es 8 Elektronen, oder 4 Elektronenpaare.

Im folgenden stelle ich Propan als Vertreter der organischen Verbindungen vor, dazu einige andere Moleküle mit tetraedrischer Geometrie. Bei den ersten 3 ist die tetraedrische Geometrie perfekt realisiert, bei den anderen 3 lernen Sie Abweichungen und Ausnahmen kennen.

Propanmolekül

Bild 2 : Propanmolekül

Propan C3H8. – Das Propanmolekül steht hier als Stellvertreter all der vielen Moleküle organischer Stoffe, in denen die Kohlenstoffatome tetraedrische Koordination besitzen.

Das Propanmolekül hat 3 Kohlenstoffatome. Alle 3 sind von 4 Nachbaratomen umgeben, das mittlere von 2 C–Atomen und 2 H–Atomen, die beiden äußeren von einem C–Atom und 3 H–Atomen, und alle 3 Kohlenstoffatome besitzen eine perfekte tetraedrische Koordination mit Bindungswinkeln von exakt 109°28'. Bild 2 zeigt die Situation.

Mehr Informationen zu Propan finden Sie in Kapitel 24.3.

 

Diamantkristall

Bild 3 : Ausschnitt aus einem Diamantkristall.

Diamant. – Das Propanmolekül besitzt 3 benachbarte Kohlenstoffatome mit tetraedrischer Geometrie, in größeren Molekülen sind es in der Regel mehr. Wie groß kann ein Ensemble aus tetraedrischen Kohlenstoffatomen eigentlich werden ?

Es kann unendlich groß werden.

Im Diamantkristall ist jedes Kohlenstoffatom von 4 anderen Kohlenstoffatomen umgeben, in exakt tetraedrischer Koordination.

Bild 3 zeigt einen Ausschnitt aus einem Diamantkristall. Einen Tetraeder habe ich grün eingezeichnet. In seinem Mittelpunkt (Schwerpunkt) ist ein Kohlenstoffatom. Die 4 an dieses Atom gebundenen Atome bilden die Ecken des Tetraeders.

Informationen zur Art der Bindungen im Diamant und zu einigen physikalischen Eigenschaften finden Sie in Kapitel 5.3., weitere Informationen in Kapitel 22.1.

 

Nickeltetracarbonyl-Molekül

Bild 4 : Molekül von Nickeltetracarbonyl. Farbcodierung : Nickel, Kohlenstoff, Sauerstoff.

Nickeltetracarbonyl Ni(CO)4. – Das Nickelatom ist tetraedrisch von 4 CO–Gruppen umgeben (→ Fußnote 1). Das heißt, das Nickelatom befindet sich in der Mitte (im Schwerpunkt) des Tetraeders, und die 4 CO–Gruppen zeigen zu seinen Ecken.

Fußnote 1 : Es ist schon eine Frage wert, warum das so ist. Um genau zu sein, sind es 2 Fragen. Warum sind es gerade 4 CO–Gruppen, die mit einem Nickelatom verbunden sind ? Und warum ist die Geometrie tetraedrisch ? Gillespie und Hargittai schreiben in ihrer kompetenten Monographie L–51 auf Seite 160, dass die Atome der Nebengruppenelemente eine bestimmte Zahl von Elektronen benutzen, und auf Seite 174, dass man im Nickeltetracarbonyl die tetraedrische Geometrie beobachtet. Ist das eine Erklärung ? Eine Erklärung ist, dass das Ni(CO)4–Molekül mit tetraedrischer Geometrie die niedrigste Freie Enthalpie (im Vergleich zu anderen denkbaren Molekülen und Geometrien) hat. Aber hilft das weiter ? Mehr zur Freien Enthalpie erfahren Sie in Kapitel 4.1.7.

 

Bild 4 zeigt die Situation. Mehr Informationen zu Nickeltetracarbonyl finden Sie in Kapitel 24.8.

Tribrommethan CHBr3 und Trifluormethan CHF3. – Hat das Zentralatom 4 gleiche Liganden, erwarten wir eine perfekt tetraedrische Anordnung. Es gehen ja von allen 4 Liganden die gleichen Wirkungen aus, und daher werden sie den maximal möglichen Abstand einnehmen, an den Ecken eines Tetraeders.

Aber was passiert bei unterschiedlichen Liganden ?

Molekül von Tribrommethan Molekül von Tribrommethan

Bild 5 : Molekül von Tribrommethan, oben Ansicht von vorn, unten dieselbe Ansicht mit eingeblendetem verzerrtem Tetraeder. Farbcodierung : Kohlenstoff, Wasserstoff, Brom.

Bild 5 zeigt im oberen Teil ein Molekül Tribrommethan. Im Gegensatz zu all den anderen tetraedrisch koordinierten Molekülen sieht es sehr breitbeinig aus.

Grund ist, dass die Bromatome viel größer sind als das Wasserstoffatom, mit dem sie um den Platz an den Tetraederecken konkurrieren (→ Fußnote 2). Die Bromatome stoßen sich, allein durch ihren Platzbedarf, noch mehr ab. Sie rücken nach außen, und, da die Bindungslänge gleich bleibt, auch ein Stück nach oben.

Man nennt das Gebilde, das aus dem Tetraeder entstanden ist, einen verzerrten Tetraeder. Im unteren Teil von Bild 5 sehen Sie ihn, zusammen mit seinem Molekül. Eine seiner Seitenflächen (die von 3 Bromatomen begrenzte) ist größer geworden. Sie ist nun ein großes gleichseitiges Dreieck. Die anderen Seitenflächen sind kleiner geworden. Es sind gleichschenklige Dreiecke.

Sinnvoll ist, die Verhältnisse im Tribrommethan–Molekül quantitativ zu betrachten. Die Winkel zwischen den C–Br–Bindungen betragen 111,7° (L–51, Seite 76). Die Abweichung vom Tetraederwinkel (109,5°) ist gering, und es hat mich erstaunt, dass diese kleine Änderung aus dem symmetrischen Tetraeder eine unförmige Flachpyramide macht. Aber der maximal mögliche Winkel zwischen 3 Bindungen rund um ein Zentralatom ist 120°, denn dann liegen Zentralatom und die 3 Liganden in einer Ebene. Jetzt ist die auffällige Formänderung weniger seltsam. Die Winkeländerung von nur 2,2° ist nur absolut gesehen klein, im Vergleich zu den maximalen möglichen 10,5° ist sie aber schon recht groß und hat daher auch recht große Auswirkungen.

Fußnote 2 : Das Wasserstoffatom hat einen Radius von etwa 37 pm, das Bromatom einen von 114 pm. Es ist also dreimal so groß.

 

Noch ein anderer Effekt macht das Tribrommethan–Molekül optisch flach. Es sind die Bindungslängen. Die Länge der C–H–Bindung beträgt 107,0 pm, die der C–Br–Bindungen 193,0 pm (L–101, Seiten S 14s und S 18s). Die kurze C–H–Bindung nimmt dem Tetraeder die Spitze und verzerrt ihn weiter.

Was erwarten Sie beim Trifluormethan–Molekül ? Fluoratome sind kleiner als Bromatome, aber größer als Wasserstoffatome. Man könnte denken, es treten dieselben Effekte auf wie beim Tribrommethan, aber in geringerer Ausprägung. Der Winkel zwischen den C–F–Bindungen könnte größer als der Tetraederwinkel von 109,5° sein, aber kleiner als der entsprechende Winkel im Tribrommethan.

Molekül von Trifluormethan

Bild 6 : Molekül von Trifluormethan. Farbcodierung : Kohlenstoff, Wasserstoff, Fluor.

Tatsächlich beträgt der Winkel zwischen den C–F–Bindungen nur 108,6° (L–51, Seite 76), er ist also etwa ein Grad kleiner als der Tetraederwinkel.

Und wie kommt das ?

Bevor ich diese Frage beantworte, stelle ich das Trifluormethan–Molekül vor. In Bild 6 sehen Sie es. Der optische Eindruck täuscht diesmal nicht. Der Tetraeder ist nur schwach verzerrt, das Molekül sieht fast tetraedrisch aus.

Aber warum ist der Tetraeder diesmal in die andere Richtung verzerrt ?

Fluor hat eine sehr hohe Elektronegativität. Sie beträgt fast 4,0. Die C–F–Bindung ist also wesentlich stärker polar als die C–Br–Bindung. Die relevanten Daten sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

 

Fußnote 3 : Bindungen haben natürlich kein Aussehen wie eine Blume oder eine Jacke. Gemeint ist eine graphische Darstellung der Elektronendichte, wie Sie sie an vielen Stellen im Projekt sehen können, zum Beispiel im Kapitel 3 über Modelle.

Wie solche stark polaren Bindungen aussehen (→ Fußnote 3), können Sie in Kapitel 5.5.1. nachlesen und dort in Bild 1 ansehen. Man könnte sie tropfenförmig nennen. Das eine Ende der Bindung (am weniger elektronegativen Atom, hier also am Kohlenstoffatom) ist schmaler und braucht weniger Platz als eine unpolare Bindung. Die C–F–Bindungen können also ein wenig zusammenrücken, der Winkel wird kleiner.

Fußnote 3 : Bindungen haben natürlich kein Aussehen wie eine Blume oder eine Jacke. Gemeint ist eine graphische Darstellung der Elektronendichte, wie Sie sie an vielen Stellen im Projekt sehen können, zum Beispiel im Kapitel 3 über Modelle.

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Aluminiumbromid AlBr3. – Aluminiumbromid hat die Summenformel AlBr3. Es bildet Moleküle aus 2 Aluminium– und 6 Bromatomen mit der Formel Al2Br6. Man kann sich ein solches Molekül aus 2 AlBr3–Einheiten zusammengesetzt denken und nennt es daher ein dimeres Molekül oder kurz ein Dimeres.

Fußnote 4 : Seit den 1930er Jahren haben sich Forschende mit der Aufklärung der Struktur von Aluminiumbromid beschäftigt. Im Jahr 1997 hat eine Arbeitsgruppe aus Dänemark die Struktur mit modernen Methoden und Rechenverfahren untersucht (L–284). Der Aufbau von Aluminiumbromid aus Dimeren mit der Formel Al2Br6 wurde bestätigt.

 

Formel von Aluminiumbromid

Bild 7 : Strukturformel des Aluminiumbromid–Dimeren

Bild 8 zeigt ein solches Al2Br6–Molekül. Die Aluminiumatome sind matt rötlich gezeichnet, die Bromatome braun. Jedes der beiden Aluminiumatome ist von 4 Bromatomen umgeben. Nehmen Sie das als selbstverständlich hin, oder erstaunt Sie es ? Aluminium ist doch dreiwertig, wie soll es da 4 Bindungen ausbilden ?

Sinnvoll ist es, die Strukturformel von Al2Br6 aufzustellen. Dazu werden die Valenzelektronen gezählt.
xxx 6 Bromatome besitzen je 7 Valenzelektronen.
xxx 2 Aluminiumatome besitzen je 3 Valenzelektronen.
Insgesamt sind somit 48 Valenzelektronen vorhanden, und man kann eine vollständige Strukturformel, einschließlich der einsamen Elektronenpaare, aufstellen. Bild 7 zeigt sie.

Molekül von Aluminiumbromid Molekül von Aluminiumbromid

Bild 8 : Molekül des Aluminiumbromid–Dimeren, oben Ansicht von vorn, unten dieselbe Ansicht mit 2 eingeblendeten Tetraedern. Daten aus L–284. Farbcodierung : Aluminium, Brom. Bildnachweis.

Tatsächlich gehen von jedem Aluminiumatom 4 Bindungen aus, und man kann sich schnell klarmachen, woher die Elektronen kommen. Für die terminalen (endständigen) Al–Br–Bindungen gibt das Aluminiumatom je eines und die Bromatome je eines, so wie immer. Für eine der Brückenbindungen ist die Situation dieselbe, ein Elektron kommt vom Aluminium, eines vom Brücken–Br–Atom. Für die andere Brückenbindung spendet das Bromatom beide Elektronen, es hat nun ein einsames Elektronenpaar weniger, und an diesen Bromatomen sind auch nur 2 einsame Paare gezeichnet.

Von jedem der beiden Aluminiumatome gehen 4 Bindungselektronenpaare aus, und die sind tetraedrisch angeordnet. Im zweiten Teil von Bild 8 sehen Sie das Al2Br6–Molekül zusammen mit den beiden Tetraedern (grün und cyan gezeichnet) um die beiden Aluminiumatome.

Eines fällt auf. Die Tetraeder haben eine gemeinsame Kante. Man sagt, sie sind kantenverknüpft. Dieses Motiv der kantenverknüpften Tetraeder ist recht häufig.

Etwas anderes fällt nicht so schnell auf. Die Winkel zwischen den Al–Br–Bindungen haben nicht immer den exakten Tetraederwinkel von 109°28'. In der Mitte der Formel in Bild 7 ist ein Ring aus 4 Atomen, 2 Aluminiumatome und 2 Bromatome. Da ist, einfach aus geometrischen Gründen, der Tetraederwinkel nicht erreichbar. Tatsächlich betragen die Winkel zwischen den Al–Brückenbrom–Bindungen nur 93,5°. Zum Ausgleich haben die Winkel zwischen den Al–Terminalbrom–Bindungen eine Größe von 121,25°. Die übrigen Winkel liegen nahe bei 109°.

Aluminiumbromid bildet die Al2Br6–Dimeren im festen, im flüssigen und im gasförmigen Zustand. Aber warum ? Warum bilden sich keine einfachen AlBr3–Einheiten, sondern Dimere ?

Vielleicht haben Sie bei dieser Frage die Ionenbindung im Auge. Das ist auch legitim, denn Aluminium ist ein Metall, Brom ein Halogen, und die Verbindung sollte ein Salz sein. Doch das ist nicht immer so. Vergleichen Sie dazu auch Kapitel 7.10.2. über die Zinn–IV–halogenide.

Sinnvoll ist es, die Elektronegativitäten (EN) der beteiligten Elemente anzusehen.
xxx EN(Al) = 1,61 und EN(Br) = 2,96
xxx Δ EN = 1,35
xxx Ionencharakter : 0,37.

Das ist nun wirklich keine Ionenbindung mehr, sondern eine polare Atombindung. Die Aluminiumatome können die Oktettregel (→ Kapitel 4.5.2.) nicht mehr erfüllen, indem sie 3 Elektronen abgeben und Al3+–Ionen bilden, sondern sie müssen 4 kovalente Bindungen ausbilden, und das geht am einfachsten, indem Dimere gebildet werden.

Mehr über Aluminiumbromid und seine Eigenschaften (die die Eigenschaften einer Molekülverbindung, nicht eines Ionenkristalls sind) erfahren Sie in Kapitel xxx – demnächst. Mehr über die anderen Halogenide von Aluminium und Gallium (das in derselben Hauptgruppe wie Aluminium steht) erfahren Sie in Kapitel xxx – demnächst.

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